15 Jahre als Deutsche in Italien - da gibt es einiges zu erzählen. Die amavido-Kolumne enthält Anschauliches, Beschauliches, Kritisches mit viel Ironie & Amore für die zweite Wahlheimat unserer Mitarbeiterin Susa.

Alle zwei Wochen könnt ihr durch ihre Augen einen kleinen, intensiven Einblick auf den italienischen Alltag bekommen. Das macht Laune auf Urlaub, räumt aber auch mit vielen Klischees auf.

Heute geht es in unserer amüsanten Lesereise um die wichtige Rolle des Essens und Genießens in Italien. Und darum, dass richtiger Genuss gelernt sein will …

„Maria, mir schmeckt’s!“

Die ganze Welt kommt zum Essen nach Italien. Selbst Julia Roberts nahm in dem Film „Eat Pray Love“ den guten Rat ihrer Freundin nicht ernst, dass der Jeansknopf nach der käse-lastigen Pizza Margherita drücken könnte. „Das ist die Königin unter den Pizzen, die nach der Königin Margherita benannt wurde. Wir sind in der besten neapolitanischen Pizzeria von Rom. Halt den Mund und iss!

Sie hatte es begriffen: Genuss ist Genuss und das schlechte Gewissen gibt’s erst zum Frühstück, wenn Frau sich in Italien fragt, ob die Hose, die letztes Jahr schon eng war, heute auf die Hüften passt.

„Sei still und iss!“, musste ich trotz meiner damals 38 Jahre auch oft von meinem heutigen italienischen Mann zu hören bekommen. Besonders, wenn ich als studierte Deutsche mal wieder zu sehr an einem gepflegten Tischgespräch interessiert war und beim deutschen Drang zur guten Konversation die Pasta kalt wurde. Wenn ich es genau bedenke, habe ich meinen Mann kennengelernt und besonders auf mich aufmerksam gemacht, eben weil ich die Pasta kalt werden ließ. Das heißt, ich habe damals in meinem teutonischen Banausentum meinen Teller in der Trattoria in Verona nicht ausreichend gewürdigt, sprich nicht zielstrebig zu Ende gegessen. „Perché non mangi?“ (Warum isst du nicht?) Er war entsetzt. Wie konnte ich derart das Heiligtum der italienischen Küche beleidigen? Wozu war ich denn dann überhaupt ins Restaurant gegangen?

Tatsache war, dass vor diesem halb - verschmähten Teller ungefähr 4 bis 5 andere Vorspeisen-Teller aufgetischt worden waren. Er konnte sich nicht beruhigen! Ich hatte die Pasta beleidigt! Dass er sich trotz dieses Affronts überhaupt als Italiener (!) noch weiterhin für mich interessierte, spricht für mich - aber nicht für die Akzeptanz eines deutschen Menschen in einer italienischen Küche. Da können wir nur verlieren. Aber das ist auch gut so!

Foto: amavido-Fotograf Matthias Neumann

Welt, bleib‘ draußen! Esskultur in Italien: nur Platz für’s Essen!

Überhaupt das Tischgespräch! Wir Deutschen würdigen bei Einladungen nur brav die Arbeit der Köchin oder des Kochs und sagen, dass es schmeckt. In Italien hingegen bestimmt beim Essen, das Reden über’s Essen die Szene. Man spricht über Zutaten, Rezepte, wer kocht wie, was und wo am besten usw. So ist es in ganz Italien, also auch in meinem piemontesischen Dunstkreis. Beim Besuch in der Trattoria spricht man auch gerne über vergangene Besuche in anderen Trattorien. Und da man ja immer wieder oft in die Trattoria geht, hat man auch immer wieder viel zu erzählen. Eine Endlosschleife!

Für sie ist Essen „un ben‘ di Dio“, eine Gottesgabe, die geschätzt werden muss. Beim Essen über’s Essen zu reden, ist wie eine Potenzialisierung des Genusses. Was das betrifft, sind die Italiener Buddhisten, auf der maximalen Stufe der „Awareness“. Ganz im Stil: Wenn Du isst, dann iss. Real ist nur, was Du vor Augen hast. Widme Dich ganz, so dass Du den Moment des Zusammenseins und des Genusses auch richtig lebst. Sie haben Dolce Vita-Awareness im Blut!

Ernsthafte und kritische Gespräche über Gesellschaft und Politik haben bei Tisch nichts verloren! Reden über die großen Zusammenhänge, die hohen Steuern oder die allgemeine Abscheu gegenüber dem Staat, der Korruption und den überbezahlten Politikern verderben nur den Appetit! Sobald es dann doch einer wagt, Analysen über die unzähligen Missstände zu äußern, wird er meistens nach kurzer Zeit zur Ordnung gerufen.

Der schwierige Alltag in einem schwerfälligen Staatswesen führt dazu, dass man von dieser Aktualität zu Tisch nichts hören will. Verständlich. Wo wir Deutschen aber oft und gerne in hochfliegende, komplizierte Gespräche verwickelt sind, kümmert man sich in Italien beim Essen mehr um das unmittelbar Gute -  Essen, Trinken, Freundschaft…

Goethe schrieb 1778 in seinem Gedicht An den Mond: „Selig, wer sich vor der Welt verschließt. Einen Freund am Busen hält und mit dem geniesst“. Entstand das aus der Italien-Affinität unseres Dichterfürsten, der 1786 seine Italienreisen begann?

Foto: amavido-Reisender Michael Müller

Va bene! - Der italienische Tisch ist eine Welt für sich. Da hat die Außenwelt herzlich wenig zu suchen! Nach 15 Jahren in der italienischen, harten Realität kann ich’s gut verstehen, dass man wenigstens zu Tisch entspannt sein will. Nichtsdestotrotz freue ich mich auch, wenn ich dann ab und zu mit Deutschen esse. Da wird wenigstens nicht jeder Gedankenaustausch über Gesellschaft und Politik als „Polemik“ bezeichnet, sondern als „gepflegtes Tischgespräch“. Wobei mir das dann nach gewisser Zeit auch wieder intellektuell zu anstrengend wird und ich mich nach entspannteren Gesprächen über Schinken- und Käseherstellung sehne. Man wird halt zum hybriden Wesen, wenn man zwei Kulturen in sich vereint!

Der Prosciutto-Talk - ein Teil der italienischen Esskultur

Bei italienischen Tischgesprächen kann es mitunter hoch hergehen.

Einmal war ich mit einer nur Englisch sprechenden Freundin bei Tisch mit meinen piemontesischen Freunden. Die Nahrungsaufnahme verlief in den ganz üblichen Dimensionen und in freundschaftlicher Atmosphäre. Plötzlich brach ein lauter Streit vom Zaun, den meine arme nordeuropäische Freundin erschreckte. Die Stimmen der Streithähne wurden immer lauter. Sie beschimpften sich der „Ignoranza“ und „mancanza di buon senso per il mestiere“ und ein „sapientone“ zu sein. Blödheit, fehlender praktischer Sinn für das Handwerk und Besserwisserei lauteten die Vorwürfe. Sally und ich hatten ernsthaft die Befürchtung, dass die beiden gleich vor die Tür gingen, um die Angelegenheit ein für alle mal unter Männern zu klären.

Mit angsterfüllten Augen drehte sich Sally zu mir: „For heavens sake! What are they argueing about??“ Ich musste lachen. Mir fiel keine andere Antwort ein: „Don’t worry! They are just talking about ham!“ In dieser unglaublich aufgeregten Streitsituation am Tisch ging es tatsächlich nur um die korrekte Definition von Prosciutto di Parma und seine Handhabung bei der Herstellung. Das war alles. Als sich aber die Wogen der Aufregung nach 20 Minuten immer noch nicht beruhigt hatten, blieb Sally nichts anderes übrig, als sich nochmal zu informieren: „And now?? Why are they still screaming? Do we have to go home? What’s goin‘ on??“

Ich musste nur wieder lächeln und konnte sie beruhigen: „Don’t worry! They are still talking about ham …“

Foto: amavido-Fotograf Matthias Neumann

Im Piemont ist Essen ein Marathon

Der italienische Alltag ist vom Essen, seiner Beschaffung und seiner Herstellung bestimmt. Schon beim Frühstück, - was für uns Deutsche in Italien ja eigentlich gar nicht existiert, weil dafür ja noch nicht mal der Tisch gedeckt wird - muss man sich in einem italienischen Haushalt mit der genauen Planung der Mahlzeiten beschäftigen. Jetzt bin ich keine italienische Mamma, die schon morgens die Hühner ausnimmt und stattdessen lieber Zeitung liest, also hat mein Mann ein Problem.

Aber man muss sich als Deutsche noch nicht einmal besonders anstrengen, dermaßen unwissend und ungeschickt in der Küche rüberzukommen. Im Besten Fall stellt sich der Italiener direkt selbst an die Herdplatte. Dein großes Glück!

Es wäre ja alles gut und schön, wenn da bloß nicht dieser Stress mit dem Auswärts-Essen wäre! Vor 10 Jahren, 20 Kilo weniger und mit meinen schlanken 38 Jahren habe ich damals „die Pasta beleidigt“ und dafür lässt er mich heute noch „büßen“ und zwar mit Straf-Essen, sozusagen Nachsitzen - im Ristorante!

Da mein Mann und seine Freunde aus dem Piemont kommen, ist es für sie eine kulturelle Verpflichtung beim Restaurant-Besuch zirka 5 bis 6 Vorspeisen abzuarbeiten, bevor sie sich dann bei zwei Kostproben, das heißt zwei Tellern(!) Nudeln ausruhen, um zum großen Finale des zweiten Ganges auszuholen. Sprich Fleisch oder Fisch mit Beilage. Dann geht’s glorreich mit piemontesischem Pudding oder Panna Cotta in die Ziellinie. Das ist keine Völlerei, sondern Kulturgut! Das weiß die ganze Welt! Oder?

 

Wenn Du jetzt auch Lust auf das italienische Temperament und kulinarische Entdeckungen bekommen hast, besuche uns auf amavido.de. Hier kannst Du dir eine Reise nach Wahl maßschneidern lassen.

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Written by Susanne Trumm
Susanne ist in Montabaur, Rheinland-Pfalz geboren und hat in Köln Germanistik, Italienische Romanistik & Politikwissenschaft studiert. Nach einigen Sprach- und Studienaufenthalten in Florenz ist sie 2002 nach Italien ausgewandert. Jahrelange Berufs- und Lebenserfahrungen als Deutschlehrerin & Übersetzerin südlich von Rom und in Verona haben sie letztendlich 2011 nach Salea d'Albenga in Ligurien geführt. Hier lebt sie mit ihrem piemontesischen Mann, der den schönsten Beruf der Welt hat. Die beiden haben sich genau deshalb kennengelernt: Bei der Weinmesse "VinItaly" in Verona, wo sie als Übersetzerin und er als Winzer arbeitete. Eine deutsch-italienische Geschichte, die Freude macht, weitererzählt zu werden ...