
Der Beginn eines neuen Jahres bringt immer eine gewisse Spannung mit sich. Wir beenden das alte Jahr oft mit einer reflexiven Haltung, gewissermaßen einer prüfenden Betrachtung dessen, was hinter uns liegt. Und dann folgen Vorfreude und Erwartungen an ein neues, spannendes Jahr.
Was Geisterdörfer in Italien damit zu tun haben? Lass‘ uns gemeinsam einen Blick hinter die Fassaden eines kleinen Reiseunternehmens werfen.
Ein Blick hinter die amavido Vision
Uns bei amavido ergeht es natürlich nicht anders. Über das Jahr verliert man sich schnell im Tagewerk, in Kennzahlen, Misserfolgen und Erfolgen. 2017 war ein spannendes Jahr für uns und 2018 stoßen wir viele neue aufregende Projekte an! Da ist es hin und wieder gut, zu den Wurzeln zurückzukehren und auf das eigentliche Ziel zu blicken. Deshalb möchten wir diese Zeit nun einmal bewusst nutzen und zu unserer Vision zurückkehren – gewissermaßen dem „Warum“ hinter amavido. Das können und wollen wir dir keineswegs vorenthalten.
Lass uns nochmal gemeinsam auf unsere Vision schauen. Auf der amavido-Seite heißt es:
„Unser Ziel, das Unsichtbare, sichtbar zu machen. Wir glauben an «klein aber fein». Wir glauben, dass sich in den kleinen versteckten Dörfern ein Lebensstil versteckt, der auf uns wartet und den wir in der Stadt zwar suchen, aber niemals finden können. Es gibt noch unglaublich viele tolle und wunderschöne Orte zu entdecken und viele Geschichten warten nur darauf, erzählt zu werden. Traditionen sind es wert, gelebt und erlebt zu werden und landestypische Gerichte wollen probiert werden. In Vergessenheit geratene Gefühle wollen wiederentdeckt und außergewöhnliche Momente gelebt werden. amavido ist ein Lebensstil mit dem Ziel, die Welt mit anderen Augen zu sehen, anders zu denken und eine neue Art des Reisens zu verbreiten.“
Hinter den Fassaden
Nun fragst du dich vielleicht, warum diese Vision für uns so wichtig ist? Warum wir die kleinen, versteckten Dörfer zum Mittelpunkt unserer Arbeit machen?
Nun, zum einen liegt das daran, dass ein großer Teil unseres Teams aus genau solchen Orten stammt oder Freunde und Familie in solchen Dörfern hat. Urige kleine Ortschaften, genau wie man sie sich vorstellt. Wo sich die Bewohner auf den Marktplätzen treffen und innehalten um zu tratschen, wo die „Nonnos“ und „Nonnas“ auf ihren Bänken über das Leben plaudern und Geschichten austauschen und wo der caffè in der Bar absolut überlebenswichtig ist. Die Geschichten unseres Teams sind eng mit solch besonderen Orten Italiens verknüpft.
Aber nicht nur die emotionale Verbindung spricht für unsere Vision. Immer wieder stoßen wir bei unseren Recherchen auf interessante, aber teilweise wirklich beklemmende Zahlen und Fakten zu der Situation gerade solcher kleineren Dörfer in Italien. Einige davon möchten wir hier gerne mit dir teilen.
Bild: amavido-Fotograf Matthias Neumann
Geisterdörfer statt blühendem Leben
Urbanisierung und Entvölkerung - zwei Schlagwörter, die in aller Munde sind. Italien gehört zu den Ländern Europas, die davon besonders stark betroffen sind. Die Umweltschutzorganisation Legambiente hat sich ausführlich mit diesem Thema beschäftigt und die Situation kleiner Gemeinden (unter 5.000 Einwohnern) in Italien untersucht (weitere Infos zu Legambiente). Hier nur einige der Fakten, die uns besonders beschäftigen:
Die Gründe für die Situation liegen auf der Hand, dazu gehören unter anderem fehlende Zukunftsperspektiven für viele Italiener in ihrer Heimat. Das Phänomen hat seine Wurzeln bereits in der wirtschaftlichen Krise der Nachkriegszeit. Die erhobenen Zahlen beschäftigen die italienischen Medien momentan mehr als je zuvor. Geschichten über einzelne Dörfer und Schicksale, über „Geisterdörfer„, in Kombination mit Begriffen wie “demographische Krise” und “ländlicher Exodus”, schwirren durch Zeitungen und Nachrichten.
Nun fragst du dich vielleicht: „Was solls? Werden die urbanen Zentren nicht weltweit immer größer und die Bevölkerung auf dem Land nimmt ab?“ Völlig richtig. Aber zum einen sind die Ausmaße der Landflucht in Italien wirklich sehr schwerwiegend und zum anderen geht damit noch ein anderer Aspekt einher, der uns von amavido wirklich sehr beschäftigt. Mit jedem neuen „Geisterdorf“ gehen einzigartige Traditionen, Wissen, besondere Handwerkskünste, Geschichten und der soziale Zusammenhang verloren. Der Reichtum dieser Orte verschwindet, weil sie langsam in Vergessenheit geraten.
Geisterdörfer vs. italienischer Einfallsreichtum
So – erstmal tief durchatmen und genug der bedrückenden Zahlen. Zum Glück sind die Italiener mit viel “dinamismo”, also Tatendrang und Einfallsreichtum, gesegnet. Viele weigern sich, den Zerfall ihrer Dörfer einfach hinzunehmen und kommen auf die kreativsten Ideen, um sie zu retten.
Der Bürgermeister des Bergdorfes Gangi auf Sizilien hat einige der leerstehenden Häuser des Ortes für 1€ verkauft. Der Kauf ist an die Bedingung geknüpft, das Haus innerhalb von drei Jahren zu restaurieren. Außerdem muss eine Bürgschaft hinterlegt werden. Das Ziel der Initiative, über die bereits an die 100 Häuser verkauft wurden, ist es, die Gemeinde wieder zu bevölkern und dabei die lokale Wirtschaft anzukurbeln.
Andere Dörfer setzen ihre Hoffnung auf den Zuzug von Migranten. Die Bevölkerung von Riace ist seit dem Zweiten Weltkrieg von 2.600 auf 400 Einwohner geschrumpft. Viele der Bewohner zogen nach Norditalien, um dort nach Jobs zu suchen. Der Bürgermeister Domenico Lucano beschloss deshalb vor einigen Jahren, Migranten und Flüchtlinge in das Dorf einzuladen und sie mit offenen Armen willkommen zu heißen. Ein Schild am Ortsrand erklärt Riace zum „Dorf der Begegnung“. Einwanderer aus über 20 Nationen haben sich mittlerweile hier niedergelassen, bauen kleine Geschäfte auf und schicken ihre Kinder zur Schule. Die Bevölkerung des Ortes wächst langsam, aber beständig. Der Bürgermeister Domenico Lucano hat für sein Engagement schon mehrere Preise gewonnen, da seine Strategie von verschiedenen Ortschaften weltweit übernommen wird.
Auch Civita di Bagnoregio in der Region Latium ist eine kleine Ortschaft auf einem Hügel, in der nur noch sehr wenige Menschen leben. Gleichzeitig kämpft das Dorf mit der unglücklichen Tatsache, dass es auf Tuffstein gebaut wurde, der von Wind und Wasser beständig abgetragen wird. Die mittelalterlichen Gebäude der malerischen Ortschaft sind von den Bodenerosionen bedroht. Kurzerhand hat Bagnoregio sich zu „der sterbenden Stadt“ erklärt und sich so zu einer Touristenattraktion gemacht. Die Ortschaft kann nur über eine schmale Fußgängerbrücke erreicht werden und für den Eintritt bezahlt der Besucher 1,50€. Das Geld steckt die Gemeinde in den Erhalt des Dorfes.
Noch einen Schritt weiter ging der Bürgermeister von Sellia in Kalabrien, der eine Anordnung veröffentliche, die es seinen Bürgern verbietet, krank zu werden und zu sterben. In seiner Ortschaft leben 573 Menschen (Stand Juni 2016), davon sind etwa 60 % der Menschen über 65 Jahre alt. Mit finanzieller Unterstützung der Regierung ließ er ein medizinisches Zentrum bauen. Wer hier regelmäßig zum Check-up geht, bekommt Steuervergünstigungen von dem ambitionierten Bürgermeister. Außerdem ließ er eine Seilrutsche und einen Kletterwald bauen, von denen er hofft, dass sie der Ortschaft mehr Besucher einbringen.
Geisterdörfer in Italien: Reisende als Retter?
Viele Experten sind sich einig – der Tourismus birgt großes Potential für die Wiederbelebung kleiner Ortschaften. Und der Tourismus in Italien boomt. Leider beschränken sich die begeisterten Italienreisenden nur auf wenige, bekannte Regionen und Ortschaften. Beliebte Ziele sind zum Beispiel Cinque Terre, die Amalfiküste oder das Gebiet Chianti. Hier werden die Ortschaften teilweise schon fast von Touristen überrannt und die Gemeinden suchen nach Lösungen, um die Bedürfnisse der vielen Reisenden abzudecken.
Hier können wir den Bogen schließen – was kannst du als reiselustiger Italienliebhaber tun, um die Situation zu verbessern?
Sei neugierig! Trau dich, Gebiete abseits der allseits bekannten Touristenpfade zu entdecken. Es gibt unglaublich viele wunderbare Orte in Italien, die bereist werden wollen. Stecke ein bisschen Zeit in Recherche oder lass dir alternative Reiseziele empfehlen. Buche familiengeführte Unterkünfte. Überlege, wen du mit deiner Reise unterstützen möchtest und entscheide dich für eine Unterkunft, mit der du die lokale Wirtschaft unterstützt, statt Geld in ein internationales Kettenhotel zu stecken. Viele Gastgeber renovieren ihre Häuser mit Hilfe der lokalen Handwerker, kaufen bei lokalen Produzenten ein und achten auf die ökologischen und sozialen Auswirkungen ihrer Unterkunft. Trau dich auch, auf deiner Reise einzigartige Menschen und Geschichten kennen zu lernen.
Eines können wir dir versprechen – du wirst einzigartige Reiseerlebnisse haben!
Die Idee gefällt dir? Dann melde dich bei uns, wir haben tolle Geheimtipps für dich!
Wirklich ein gut recherchierter Artikel! Danke für die tollen Hinweise, die auch meine Augen für neue Reiseideen öffnen! Macht weiter so!
Danke Lena! Ja wir beobachten die Dörfer und Menschen dort weiter und unterstützen sie in ihrem Schaffen. Bestimmt kommen da noch viele großartige Dinge auf uns zu!
Hallo Sarah,
mit großem Interesse habe ich deinen Artikel gelesen. Ich kenne diese Geisterdörfer und verlassenen, einsamen Regionen auch. Der Grund jedoch, weshalb viele Reisende nicht in diese charmanten Regionen finden, liegt im Mangel an Sprachkenntnissen.
In vielen Gegenden musst du Italienisch können, um weiterzukommen. Da kannst du nicht mal mehr die Speisekarte lesen, geschweige denn nach dem Weg fragen; und die Einheimischen sprechen kein Englisch. Weil die sind zu alt, um es gelernt zu haben. Die Jungen, die es vielleicht könnten, sind weg und draußen an der Küste oder im Norden.
Außerdem ist die Meinung „Italiener können nur Italienisch“ in den Köpfen vieler Touristen aus den deutschsprechenden EU-Ländern fest verankert. Da traut man sich schlichtweg nicht in italienisches Gebiet. 😉 Klingt doof, ist aber so.
Und die italienischen Tourismusverantwortlichen tragen ihren Teil zu diesem Dilemma bei, weil sie einfach nicht auf den Deutsch sprechenden Gast reagieren (wollen) - weder mit guten Online Präsenzen, noch mit Sprachen versierten Mitarbeitern.
Das Thema italienisches Hinterland bereisen wird total auf uns deutschsprechende und Italien verliebte Reisende abgewälzt. Wir schreiben unsere Regionsblogs selbst, wir kommunizieren online unter Gleichgesinnten und tasten uns so in diese Regionen vor. Da kommt nix aus Italien oder nur sehr wenig (was mir von einem Tourismus-Marketer aus Bozen vor ein paar Wochen im Fachgespräch auch wieder einmal bestätigt wurde).
Also vielen Dank für deinen Beitrag, da mich nachhaltiger Tourismus sehr interessiert! Darf ich eure Plattform auf meinem Blog, das sich dem Reisen neben Content Marketing widmet, verlinken? Ich arbeite gerade an einer Blogroll. Wäre toll. Mein Blog http://www.entdecktdiewelt.com
Liebe Grüße,
Angelika
PS: Für Mai habe ich eine Reise in den Südosten der Toskana, nach Umbrien und in die Marche geplant. Unterkunft: Agritourismo.
Hallo Angelika,
vielen Dank für deinen spannenden Kommentar und deinen Erfahrungsbericht. Das Problem mit der Sprachbarriere ist auf keinen Fall zu unterschätzen, da gebe ich dir Recht. Allgemein ist das in Europa in sehr kleinen Destinationen oft ein Problem, würde ich sagen. Bei amavido ist es uns deshalb wichtig, dass die Gastgeber ihre Sprachkenntnisse angeben. So kann der Reisende sich den richtigen Gastgeber heraussuchen. Prinzipiell kommt es denke ich auch sehr auf die Reisenden selbst an. Manchen machen die fehlenden Sprachkenntnisse wenig aus (es geht doch nichts über eine gute Unterhaltung mit Händen und Füßen) und mache fühlen sich sicherer, wenn eine gemeinsame Grundlage gegeben ist. Ich muss aber auch dazu sagen, dass wir viele tolle Gastgeber in kleinen Ortschaften haben, die sehr bemüht sind und sich z.B. auf englisch gut verständigen können.
Auf jeden Fall gibt es hier noch großes Potenzial auszuschöpfen! Wie schön, dass ihr euch auf euren Regionsblogs auch mit dem Thema beschäftigt! Über eine Verlinkung auf deinem spannenden Blog würde ich mich sehr freuen!
Ich wünsche dir eine wunderbare Reise im Mai! Schön, dass du auch Marche mitnimmst. Wir lieben diese noch recht unentdeckte Region Italiens!
Liebe Grüße,
Sarah
Liebe Sarah,
ich habe diesen Artikel mit großem Interesse gelesen, denn ich plane im Juni eine Italienreise mit einem Freund.
Wir haben vier Wochen Zeit und fahren von den Alpen bis nach Sizilien und zurück.
Dabei sind wir mit Reisemotorrädern unterwegs, bewegen uns gemütlich vorwärts und wollen Land und Leute kennenlernen. In der Vergangenheit habe ich festgestellt, dass diese Art zu reisen auf großes Interesse der (Land)Bevölkerung stößt und man sehr schnell ins Gespräch kommt und dadurch ein sehr gute Gefühl bekommt, wie das Herz des Landes schlägt. Sprachliche Barrieren gibt es natürlich immer wieder, aber irgendwie kann man sich verständlich machen, ob nun im Kaukasus, im Baltikum, in Frankreich oder eben in Italien.
Ich würde nun unseren Reiseschwerpunkt gerne mit auf eben diese Geisterdörfer und dünn besiedelten Regionen legen, da ich mir davon sehr viele gute Begegnungen verspreche.
Eine besondere Eigenschaft unserer Reisen ist natürlich, dass wir überall nur „auf der Durchreise“ sind und nur dann einmal zwei oder mehr Übernachtungen an einem Ort haben, wenn eine Region außergewöhnlich viel zu bieten hat.
Hast du noch irgendwelche Tipps für mich?