
Die Italiensehnsucht der Deutschen ist legendär und Auswandern nach Italien für viele ein Traum. Aber was, wenn der Traum wahr wird..? Unser Gastautor Dr. Rüdiger Tessmann ist Neurologe und Psychiater im Ruhestand. Er lebt mit seiner Frau seit 1999 in Ligurien in Norditalien und berichtet von seiner bedeutenden Lebensentscheidung und den ersten Schritten in „Bella Italia“. Ob der Traum vom Süden wohl Realität geworden ist…?
„Mit meinem 65. Lebensjahr im August 1999 endete mein Arbeitsvertrag als klinischer Neurologe und Psychiater in Deutschland. Unsere beiden Söhne waren mit dem Studium fertig und selbständig, und unser Schäferhund Ben war vor kurzem aus Altersgründen gestorben.
Wir waren nun völlig frei in der Entscheidung, was wir mit dem dritten Teil unseres Lebens anfangen wollten und gottlob waren meine Frau und ich uns in einem Punkt einig: Wir wollen nach Italien auswandern!
Johann Wolfgang von Goethe1
In Urlauben hatten wir dieses Land schon an verschiedenen Stellen beschnuppert, aber ein festes Ziel hatten wir nicht. Mir schwebte eine klassische Ideallandschaft vor, wie sie zu Goethes Zeiten die deutschen Maler dargestellt hatten:
Ein Gebirgshorizont im Lichte der untergehenden Sonne, mit schlanken Zypressen und schattenspendenden Pinien im Vordergrund, dazwischen Ruinenreste antiker Gebäude. In meiner frühen Jugend hörte man die sehnsuchtsvollen Klänge des Liedes von den Capri-Fischern, das von Vico Toriani gesungen wird: sie werfen unter der bleichen Sichel des Mondes ihre Netze aus und bringen singend ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass ihre Frau, die „bella Marie“, ihnen treu bleibt.
Darüber hinaus hatte ich den Wunsch, mich mit Italienern in ihrer Sprache zu unterhalten. Im letzten Halbjahr in Deutschland nahm ich Einzelunterricht bei einer Italienischlehrerin. Sie motivierte mich, in Anlehnung an Kurzerzählungen des italienischen Schriftstellers Rodari eigene Gedanken in Form einer kleinen Geschichte zu entwickeln. Diese ging so: Ein Eisbär vom Nordpol konnte sich nicht mehr von der Sehnsucht nach Süden befreien, nachdem er einmal den Duft einer südlichen Blume wahrgenommen hatte. Die Möwen, die weit herum gekommen waren, warnten ihn, dass dort im Süden auch nicht alles nur Traum und Honigschlecken sei, zumal er die Besonderheiten der südlichen Regionen und der Mentalität der dortigen Bewohner gar nicht kenne!
Nun, diese Geschichte war mir ja wie auf den Leib geschneidert, denn der Eisbär - das war ja ich!
Die Versuchung des Südens..
So schilderte ich in meinem neu erlernten Italienisch meine Italiensehnsucht, die auf Wunschträumen und nur kurzen Schnuppererfahrungen im Urlaub beruhten. Ich malte in meiner Geschichte die Warnungen der Möwe aus, die von betrügerischen Immobilienhändlern erzählte, die einem tumben Germanen beim Hauskauf in Italien das Geld aus der Tasche ziehen, von Rechtsstreitigkeiten, die sich auf Jahre hinziehen, von Advokaten, die aus Gewinnsucht die Prozesse in die Länge ziehen und von Dieben, die Auto und Haus aufbrechen, um alle Wertsachen zu stehlen. Dazu noch die unzureichende ärztliche Versorgung!
Tatsächlich wurde uns bei unseren nächsten Besuchen in Italien von algerischen Jugendbanden zwei mal das Auto aufgebrochen und einer Freundin wurde im Restaurant die Handtasche gestohlen. Doch trotz aller Warnungen und schlechter Erfahrungen blieben wir bei unserem Entschluss. Aber nun war die Frage: Wohin???
Was das deutsche Herz beim Auswandern begehrt…
Der stilbewusste Deutsche denkt natürlich zuerst an „das Haus in der Toskana“. Dazu las ich jedoch, die Toskana sei eigentlich mehr ein “Museum open air”, zum dauerhaften Wohnen weniger geeignet, weil im Winter zu kalt und im Sommer zu heiß. Südlich von Neapel sollte es nicht sein, weil zu weit weg von Deutschland. Das Meer sollte nicht unerreichbar sein, und der Blick auf die Berge gehörte ja auch zu meinen Träumen.
Spätestens da musste der Gedanke an Ligurien und die italienische Riviera aufkommen, denn Ligurien besteht aus „mare e monti“, Meer und Berge. Die westliche Hälfte Liguriens, die Riviera Ponente, ist klimatisch begünstigt durch den Schutz der Seealpen vor nördlichen Winden und hat die meisten Sonnentage im Jahr – im Durchschnitt spricht man von 300 und das können wir heute bezeugen. Keinesfalls wollten wir eine einsame Gebirgshütte in alpiner Höhe beziehen, denn wir sind ja keine Naturphilosophen. Eine Stadt und etwas Kultur sollte auch vorhanden sein. So stießen wir auf die historisch bedeutsame Stadt Albenga, die in Reiseführern nur wenig erwähnt wird. Sie ist eine römische Gründung mit mittelalterlichem Stadtkern und liegt gleich am Meer. Sehr nahe gelegen ist die von Engländern gestaltete Bäderstadt Alassio mit ihrer mondäner Eleganz. Dazwischen der Ort Garlenda mit Golfplatz, Tennisplätzen, Reitbahn und in der Nähe das Dorf Salea, etwas erhoben mit Meerblick und ganztägig Sonne. Dort fanden wir ein altes bäuerliches Gebäude, das unseren Wünschen entsprach. – Unser Kaufwunsch war geweckt!
Die Bergausläufer zwischen Albenga und der Bucht von Alassio machen es möglich: Bergwandern mit Meeresblick und Schwimmen an einem Tag - Bellissimo!
Aber nun geschah all das, wovor der Eisbär von den welterfahrenen Möwen gewarnt worden war: Das seit 20 Jahren unbewohnte Anwesen gehörte einer Erbengemeinschaft von 17 Personen, die untereinander zerstritten waren. Ein Erbe starb, aber er hatte zwei Nachfahren in Australien, die Anspruch meldeten. Die Immobilienmaklerin erklärte uns, nachdem wir die Anzahlung (caparra) gerade bezahlt hatten, dass der Olivenhain neben dem Haus gar nicht dazu gehöre. Eine Erbin hatte eine Hypothek auf dem Gebäude, die zunächst ausgelöst werden müsse. Dazu waren ein Anwalt und mehrere Termine bei Gericht in Savona nötig. Das Ganze zog sich über Monate hin und unser Umzugstermin rückte immer näher. Unser Advokat war krank und starb unmittelbar nach dem letzten Gerichtstermin. Wäre er vier Wochen früher gestorben, dann wäre unser Unternehmen wohl geplatzt.
Die Situation des Gebäudes hatten wir in einem Videofilm dokumentiert, aber leider wurde die Filmkamera mit der Dokumentation aus dem Auto gestohlen.
Doch schließlich gab es doch noch eine Wendung zum Guten und wir lernten die andere Seite Italiens kennen…
Unser Hotelier war ein gebildeter und uns sehr gewogener Herr. Durch ihn wurden wir unter den Persönlichkeiten der Stadt weitergereicht, die zu seinen Kreisen gehörten. So lernten wir endlich die Italiener kennen, denen man blindlings vertrauen kann. Und unsere Traum vom italienischen Leben hatte wieder rosigere Farben! Er verwies uns an einen Geometer, der enge Verbindung zur Stadtverwaltung hatte, was für die Genehmigung der Restaurierung unseres Bauernhauses nötig war. Seine Assistentin war eine liebenswerte Architektin, die bei der Gestaltung des Umbaus einen sehr guten Geschmack bewies und der Bauunternehmer hatte Erfahrung in der Umgestaltung alter ligurischer Häuser. Das ganze bezahlten wir Ende 1999 in Lira. In Euro hätte es das Doppelte gekostet und hätte uns überfordert. Auch unsere Nachbarn waren liebenswerte und hilfsbereite Menschen, die uns freundlich empfingen. Nachdem wir sie zu einer Einweihungsparty einluden, gehörten wir dazu!

Bei „Dolce Vita“ in mediterraner Atmosphäre mit italienischen Freunden lassen sich gut die Widrigkeiten des italienischen Alltagslebens aushalten. Oder nur so?
In Deutschland herrscht die Befürchtung, dass der an korrekte Vorschriften gewöhnte Deutsche von schnell und trickreich reagierenden Südländern übervorteilt wird, bevor er es selbst bemerkt. Das mag es durchaus geben. In einem gefestigten Nachbar- und Freundeskreis bewegt man sich in Italien aber unter Personen, zwischen denen ein verlässliches Vertrauensverhältnis besteht. Es ist der Autohändler, der unser Auto wartet, der Fahrradhändler, der mein Rennrad repariert, die Handwerker, die unsere Küchenmaschinen warten, der Elektroniker, der meinen Computer repariert – all diesen Menschen vertraue ich seit Jahren blindlings und bin dabei nie enttäuscht worden.
Ich glaube, die Italiener haben die besondere Fähigkeit, auf einen Blick den vertrauenswürdigen Partner vom Gauner zu unterscheiden. Wenn man das begreift, lebt man auch hier völlig sicher und ruhig.
Der Blick von unserer Terrasse ist genau der, den wir uns gewünscht hatten. Nach links sieht man das Meer, über dem die Sonne aufgeht, und nach rechts zum Westen hin sieht man den Gebirgshorizont mit Zypressen, Pinien und Palmen im Vordergrund.
Der Traum vom Auswandern hatte sich realisiert!
Nun kommt aber das Thema, das jeden neugebackenen Pensionär, der von einem Tag auf den anderen eine interessante und umfangreiche berufliche Tätigkeit verlässt, interessieren muss: Was macht er nun den ganzen Tag?
Nur die Sonne genießen? Das kann es nicht sein! In einem nahen Dorf sahen wir als abschreckendes Beispiel einen deutschen Rentner zu Mittag vor einer Bar sitzen, der schon zu dieser Zeit deutlich alkoholisiert war.
Unser Haus und Garten bot reichlich Möglichkeiten zu körperlicher und handwerklicher Arbeit. Durch unseren Umzug nach Italien wurden wir zum Magneten für unsere Söhne und deren Familien und Freunde, die Urlaub bei uns machten. Die Gegend bietet reichlich Möglichkeiten zu Ausflügen ins Gebirge, ans Meer, nach Genua, Nizza, Antibe, San Remo oder nach Monaco. Isoliert sind wir also nicht.
Aber auch der an geistige Arbeit gewöhnte Kopf fordert sein Recht…!
Die mittelalterliche „skyline“ von Albenga lädt zum Flanieren in den Gassen ein, die hier liebevoll „caruggi“ genannt werden
Glücklicherweise besteht in Albenga eine rege tätige Volkshochschule, UNITRE genannt. Es ist eine Institution, die in allen grossen Städten Italiens besteht, in der sich lern- und lehrwillige Personen begegnen zu Vorträgen und ganz-semestrigen Kursen. Hier machte ich mich mit Vorträgen über psychiatrische Themen in der Literatur bekannt und wurde dann von der Schulleiterin gebeten, weitere Kurse über von mir gewählte Themen abzuhalten. So kam ich auf die Idee, mich intensiv mit all den Themen zu beschäftigen, von denen die übliche Schulweisheit nicht berührt ist. Mein Lesen war nun nicht mehr Zeitvertreib, sondern gezielt darauf gerichtet, mein Wissen über die Kulturgeschichte verschiedener Völker zu vertiefen, um sie meinen italienischen Hörern nahe zu bringen.
Über diese Themen verfasste ich Schriften auf Deutsch und Italienisch. So verfüge ich heute über ein Wissen über chinesische, arabisch-islamische und indische Geschichte, Dichtung, Philosophie und Politik, über die Literatur des alten Ägypten, des antiken Israel mit neuesten archäologischen und historischen Forschungsergebnissen, über die Geschichte Russlands und der USA mitsamt der neuesten politischen Ausrichtung. Das Ganze verfliegt aber nicht in Vergessenheit, sondern ist in reich bebilderten durch Kopie vervielfältigten Schriften festgehalten. Ich bin also reichlich beschäftigt.
Natürlich gibt es auch hier im täglichen Leben ein paar Ärgerlichkeiten, z.B. wenn bestellte Waren oder Gegenstände nicht termingerecht kommen und der Verkäufer mit der Standartantwort reagiert: “Deve arrivare!”, das heißt “Es müsste kommen”. Der Zeitfakktor ist in Italien eine relativ unsichere Größe. Es kommt nun nur darauf an, ob man sich darüber ärgert oder nicht.
Auf die Frage eines Freundes, ob ich den Wechsel von Deutschland nach Italien bereue, fiel mir die Antwort ein: “Vor dem Wechsel hatte ich einen gewissen Traum vom Leben in Italien in meinem Kopf. Jetzt, nach 18 Jahren kann ich sagen, dass die hiesige Realität in allem ein bisschen besser ist, als es meine Träume waren.”
Eine weitere Frage lautet: “Bin ich in den 18 Jahren ein Italiener geworden?”
Die klare Antwort ist: ”Nein! Ich bin der Deutsche unter Italienern. Und das ist auch gut so!”

„Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn, im dunklen Laub die Goldorangen glüh’n. Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, die Myrte still und hoch der Lorbeer steht. Kennst Du es wohl? Dahin! Dahin möcht‘ ich mit Dir, o mein Geliebter, ziehen.“ (aus Mignons Lied von J.W.v. Goethe 1749 - 1832)
1Johann Wolfgang von Goethe porträtiert von J.H.W. Tischbein in der klassisch antiken Ideallandschaft seiner Italienreise 1786-1788
Entdecke eine weitere Auswandergeschichte auf https://magazin.amavido.de/auswandern-nach-italien/
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